Wenn der Kollege nervt

Mit ihren Eigenheiten können einen die lieben Kollegen schon mal zur Weißglut treiben. Vor allem in Großraumbüros sind Arbeitnehmer schutzlos den Macken der anderen ausgeliefert. Schnellt ihr Aggressionspegel immer öfter in die Höhe, hilft nur eins: reden, reden, reden.
Es ist der Fluch eines jeden Großraumbüros: Alle kriegen vom anderen alles mit. Wenn etwa die Kollegin am Schreibtisch gegenüber mal wieder wie eine Irre auf ihrer Computertastatur herumhackt oder der Kollege schräg hinter einem das x-te Privatgespräch in dieser unverkennbaren "Jeder-soll-mich-hören"-Lautstärke führt, hängt die Geduld schnell am seidenen Faden. Bei aller Toleranz muss aber niemand das Gesäusel im Nacken und den Tastaturterror direkt vor der Nase bis zum Abwinken ertragen. Denn auf Dauer können solche Eigenheiten zum echten Stressfaktor werden, der jede Konzentration zunichte macht. Wer nicht Stunde um Stunde genervt auf seinem Bürostuhl hocken will, sollte das Problem offen ansprechen.
Ursachenforschung betreiben
Zuallererst gilt es aber Ursachenforschung zu betreiben, rät der Wuppertaler Diplom-Psychologe und Gesundheitsberater Mark Kefel. Ist es wirklich das Dauer-Gezappel des Kollegen, das für Aggressionen und Anspannung sorgt oder die Arbeitssituation an sich? Gerade in großen Büros führe nämlich oft das Gefühl, vor seinen Kollegen auf dem Präsentierteller zu sitzen zu Unwohlsein und Gereiztheit - egal, was die anderen gerade tun oder lassen. "In einem solchen Fall können Pflanzen, die man als Raumteiler zwischen den Schreibtischen aufstellt oder Trennwände Abhilfe schaffen", schlägt der Experte vor. "Denn es ist ein natürliches Bedürfnis, Rückzugsmöglichkeiten zu haben. Manchmal hilft es auch, sich bewusst eine Auszeit zu nehmen und das Büro für ein paar Minuten zu verlassen, um auf andere Gedanken zu kommen."
Lösen Topfpflanzen oder Flurspaziergänge das Problem nicht, ist ein Gespräch mit dem "Störenfried" unumgänglich - auch, wenn es noch so unangenehm ist. Wer spricht den Kollegen schon gern darauf an, dass etwa seine "Hier-ist-doch-eh-alles-Scheiße-Tiraden" jedes Fünkchen Motivation im Keim ersticken, oder dass sein strenger Körpergeruch vermuten lässt, dass die letzte Dusche schon eine Weile her ist? Aus Angst, als überempfindlich abgestempelt zu werden, den Mund zu halten, kommt für die Berliner Diplom-Psychologin und Karriereberaterin Brigitte Scheidt aber nicht infrage. "Jeder hat das Recht auf seine Wahrnehmung, und wenn ich mich zum Beispiel darin gestört fühle, permanent vom Kollegen angesprochen und aus der Arbeit gerissen zu werden, darf ich das auch sagen", betont sie. "Man kann das Anliegen ja auch durchaus witzig angehen - zum Beispiel, indem man künftig ein Stofftier auf seinem Schreibtisch positioniert, das je nach Körperhaltung signalisiert, ob man gerade für Nachfragen offen ist oder nicht."
Dauerärger macht krank
Stressberater Mark Kefel sieht das genauso. Denn je nachdem wie stark sich ein Arbeitnehmer durch die Eigenheiten eines Kollegen belastet fühlt, kann ihn das sogar krank machen. "Der Ärger, den etwa der andauernd herumnölende Kollege oder notorische Besserwisser auslöst, ist eine langfristige Stressbelastung", so Kefel. "Ist diese über Wochen oder Monate nicht zu lösen, kann das im schlimmsten Fall zu gesundheitlichen Problemen führen." Stress-Symptome wie Anspannungszustände, Herzklopfen, Schwitzen und Bluthochdruck zählt der Diplom-Psychologe als mögliche Folgen auf. "Derartige Konflikte sollte man nicht unterschätzen und sich bemühen, sie möglichst rasch anzusprechen."
Ein Kompromiss, finde sich aber nur, wenn der geplagte Kollege die goldenen Regeln der Konfliktlösung einhält - auch, wenn ihn das betreffende Teammitglied noch so nervt. Sich beispielsweise mit anderen Kollegen abzusprechen und den "Nervtöter" gemeinsam an den Pranger zu stellen, sei ein eher ungünstiger Weg. "Wenn sich zehn Leute vor einem aufbauen und einem etwas vorwerfen, kann die Bereitschaft, sich zu verändern gering sein. Das kann im Gegenteil einen ganz rudimentären Überlebensmechanismus auslösen: wehr dich oder stirb", sagt Kefel. "Zudem sollte man sich überlegen, dass der betreffende Kollege einen in der Regel nicht mit Absicht stört, sondern sich seines Störverhaltens überhaupt nicht bewusst ist. Wenn man das Problem anspricht, sollte das daher möglichst unter vier Augen geschehen."
Sein Anliegen in Ich-Botschaften verpacken
Das allein sei aber noch nicht der Schlüssel zum Erfolg, ergänzt Expertin Brigitte Scheidt. Auch in einem separaten Besprechungsraum seien aggressive Schuldzuweisungen fehl am Platz. "Stattdessen sollte man seine Bedürfnisse in so genannten Ich-Botschaften verpacken", rät sie. Ein 'Darf ich dir mal was sagen? Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du mich dauernd ansprichst', greife den anderen nicht an und erhöhe die Chance, dass sich etwas ändert. "Ich sage ihm auf diese Weise, wie es mir mit seinem Verhalten geht, und wie meine Wünsche aussehen. Darauf kann er nun in aller Ruhe reagieren."
Wer ein solches Gespräch anleiert, sollte im Umkehrschluss aber auch zuhören können. "Auch man selbst hat sicherlich etwas einseitige Einstellungen, also sollte man auch damit rechnen, dass einen der Kollege im Gegenzug darauf anspricht und seinerseits für seine Wünsche offen sein", betont Mark Kefel. Denn oft sei der Ärger über die Ticks der anderen groß, während die eigenen Spleens aus dem Blick verschwinden. Ein offenes Gespräch schaffe Klarheit auf beiden Seiten. Möglich, dass man hinterher selbst seinen Parfümverbrauch auf ein Minimum reduziert, weil die Kollegen auf die wandelnde Parfümwolke im Büro durchaus verzichten können.