Schlagfertigkeit nicht übertreiben
Wieder einmal kommt dem Kollegen eine bissige Bemerkung über die Lippen, doch erst Stunden später hat man eine passende Antwort parat. Damit muss sich aber niemand abfinden, betonen Rhetorik-Experten. Denn Schlagfertigkeit ist erlernbar. Im Berufsalltag hat sie aber auch ihre Grenzen.
Irgendwann war Svenja Erler* die Beleidigungen ihres Kollegen leid. Andere würden fortwährende Bemerkungen wie "Sie haben ja schon wieder zugenommen" oder "Frauen können eben nicht denken" vielleicht an die große Glocke hängen. Die 28-jährige Bürokauffrau aus Mülheim an der Ruhr aber ärgerte sich viel mehr über den Kloß, der ihr stets im Hals steckte, wenn der Kollege stichelte. Also meldete sie sich an einer Volkshochschule zu einem Schlagfertigkeitskurs an: "Dort wollte ich endlich einmal lernen, mit solchen Situationen umzugehen."
Gegenüber dem Chef mit der Schlagfertigkeit haushalten
So wie der Mülheimerin scheint es vielen zu gehen. Landauf, landab boomen Seminare mit Titeln wie "Schlagfertig statt sprachlos" oder "Spontane Redetechniken" - und Bücher zum Thema erreichen Rekordauflagen. Auch Rhetoriktrainer Matthias Pöhm betont: "Schlagfertigkeit kann man lernen". Aber Vorsicht: "Gerade im Umgang mit Chefs ist Schlagfertigkeit oft nicht angebracht, beispielsweise dann, wenn es um berechtigte Kritik geht", warnt die Chemnitzer Personalberaterin Claudia Frank.
Drei Aspekte kennzeichnen jenes Verhalten, das gewöhnlich als "schlagfertig" bezeichnet wird. "Der Angegriffene braucht Reaktionsschnelligkeit, damit er überraschend reagieren kann", beschreibt die Germanistin Silke Kreuz, die über das Phänomen promovierte. "Ein anderer Aspekt ist die die Fähigkeit, spontan witzig zu sein." Und nicht zuletzt verlange Schlagfertigkeit eine gehörige Portion Argumentationsvermögen, weiß Kreuz. "Wer erfolgreich diskutieren kann, der ist auch schlagfertig."
Auch auf die Körpersprache kommt es an
Im Gegensatz zu Kreuz und Pöhm liegen Matthias Nölke vor allem die psychologischen Details der Schlagfertigkeit am Herzen. "Selbstsichere Menschen lassen sich nicht so schnell von ihren Gefühlen mitreißen, sie verfügen somit über eine wichtige Voraussetzung: die Selbstbeherrschung", so der Rhetoriktrainer, der zudem betont, dass die Kontrolle der eigenen Körpersprache unabdingbar für Schlagfertigkeit sei.
Denn wer eine Verbalattacke kontern will, muss mit seiner Körpersprache signalisieren, dass er hinter dem steht, was er sagt. Ansonsten entlarvt er seine eigene Unsicherheit und macht sich selbst zur Witzfigur. Tabu sind daher Gesten, die Unsicherheit oder Nervosität bekunden: unsicheres Kratzen am Kopf, nervöses Hin- und Hertänzeln, verschränkte Arme oder unsicher verkrampfte Finger.
Schlagfertigkeit ist trainierbar
Keine Frage also: Zur Schlagfertigkeit gehören vor allem erlernbare Fähigkeiten und Techniken. Doch zum Erlernen von Schlagfertigkeit gehört keinesfalls, dass jeder alle Techniken beherrschen muss. "Ich rate stets, sich zwei bis drei Techniken, die zu Ihrem Typ passen, zu suchen und diese gewissenhaft zu trainieren", verrät Pöhm. Aus der Vielfalt an Techniken lassen sich auf den Berufsalltag vor allem folgende vier übertragen:
- Humorvolles Übertreiben
- Die Rückfrage-Technik
- Die unerwartete Zustimmung
- Das Kategorische Zurückweisen
Den Angriff abprallen lassen
"Jeder Angriff zerplatzt zum Beispiel, wenn man ihm mit Humor begegnet", erörtert Pöhm die Hintergründe des humorvollen Übertreibens. Die Methode, eine Aussage zu bestätigen und humorvoll zu steigern, wirkt vor allem bei Vorwürfen, die mit ironischem Unterton vorgebracht wurden. Aber auch bei Pauschalvorwürfen könne sie angewandt werden, ist sich Claudia Frank sicher: "Dem Kollegen, der ständig stichelt, dass Frauen nicht denken könnten, kann man beispielsweise antworten: Stimmt. Aber dann müsstest du ja eigentlich auch eine Frau sein."
In anderen Fällen raten Rhetorik-Experten zur Rückfrage-Technik. Das Prinzip: Der Angegriffene versucht nicht mühsam eine Antwort auf eine flapsige Frage zu basteln, sondern stellt einfach eine Gegenfrage. Das kommt für den Gesprächspartner überraschend und bringt ihn dazu, über sich selbst nachzudenken.
Den anderen ablenken
Er ist vom eigentlichen Vorwurf abgelenkt und die unangenehme Situation ist aus der Welt. Geht beispielsweise ein Kollege naserümpfend am Schreibtisch eines Abteilungsmitglieds vorbei und sagt "Sie haben eine ganz schöne Unordnung auf Ihrem Bürotisch", ist es ein Leichtes mit der Gegenfrage "wie schaffen Sie's eigentlich, Ihren Bürotisch so sauber zu halten?" zu kontern.
Doch diese Methode hat auch ihre Grenzen. Bewegen sich der Fragende und Antwortende auf unterschiedlichen Hierarchieebenen, kann diese Technik kontraproduktiv wirken, denn gerade bei berechtigter Kritik des Vorgesetzten wirken sofortige Rückfragen möglicherweise als uneinsichtig.
Bei der Wahrheit bleiben
Eine konfliktärmere Methode beschreibt Silke Kreuz, die feststellte, dass eine einfache Rückfrage mit der zusätzlichen Bitte, eine Lösung vorzuschlagen, einerseits als schlagfertig, andererseits aber auch als angemessen aufgenommen wird. "Wer einfach zurückfragt: 'Welche Lösung schwebt Ihnen vor?' schmeichelt in vielen Fällen sogar demjenigen, der mit der ursprünglichen Frage kritisieren wollte."
Mindestens ebenso effektiv ist die Methode der unerwarteten Zustimmung. Wer einem Vorwurf überraschend zustimmt, nimmt dem Angreifer den Wind aus den Segeln. "Wahrheitstechnik" nennen Schlagfertigkeitstrainer diese Methode. Beispiel: "Sie wollen mir doch nur etwas verkaufen", witzelt ein Kunde gegenüber einem Verkäufer. Statt sich rauszureden, könnte der nun mit einem Lächeln antworten: "Stimmt, denn das ist mein Beruf!" Die überraschende und wahrheitsgemäße Verteidigung führt in derlei Fällen oft zur Entspannung der Situation.
Auch mal "Nein" sagen
Die Methode des kategorischen Zurückweisens empfiehlt sich hingegen, wenn der Angreifer Grundregeln des Miteinanders verletzt. "Glasklare Antwort" nennt Matthias Pöhm die Technik, in der der Angegriffene den Vorwurf negiert und seine Rede mit Worten wie "Sie täuschen sich!" einleitet.
Ein Beispiel aus der Politik: Altbundeskanzler Gerhard Schröder stand nach einem Wahlsieg in Niedersachsen in einem Kreuzfeuerinterview Rede und Antwort. Zwei Journalisten nahmen ihn in die Mangel und warfen ihm vor: "Die Schwierigkeiten zwischen Ihnen und Ihrer Partei fangen doch erst an. Wenn Sie Realist sind, müssen Sie das zugeben!" Schröder blieb gelassen und konterte: "Das mag Ihre Wahrheit sein, das ist aber nicht die Wahrheit. Die Schwierigkeiten, die Sie sehen, sind nun mal nicht da."
Ruhig bleiben!
Im Berufsalltag eignet sich diese Methode, um mit Vorwürfen und Angriffen bei Sitzungen, Meetings oder Diskussionen selbstbewusst umzugehen. Der Angegriffene signalisiert mit seiner ruhigen wie bestimmten Antwort, dass er sich nicht aus der Reserve locken lässt und die Situation im Griff hat.
Aber Vorsicht: Anwenden sollte diese Methode nur, wer die Fakten ganz sicher auf seiner Seite weiß und mit dem Gegenüber auf der gleichen Hierarchiestufe diskutiert. "Letzteres beispielsweise beim Chef in einem Kritikgespräch anzuwenden, sollte man sich gut überlegen", warnt Claudia Frank. Wartet dieser beispielsweise mit einem begründeten Vorwurf auf, wäre es grundverkehrt mit einem "Sie täuschen sich!" zu antworten. Das wirkt uneinsichtig und zeugt von der Unfähigkeit, angemessen mit Kritik umgehen zu können. "Diese Methode empfiehlt sich also nur beim ewig nörgelnden und unter die Gürtellinie tretenden Kollegen", betont Claudia Frank.